Der Kompressor aus dem Versuchsaufbau. Bild: Johannes Thurner

Trillionstel Sekunden

Physiker der Universität Konstanz generieren eines der kürzesten jemals von Menschen erzeugten Signale: Mit Hilfe von gepaarten Laserpulsen gelang es, eine Serie von Elektronenpulsen auf eine numerisch analysierte Dauer von lediglich 0,000000000000000005 Sekunden zu komprimieren.

Vorgänge in der Natur, die sich auf intramolekularer oder intraatomarer Ebene abspielen, laufen teilweise auf einer Zeitskala von Billiardsteln (Femtosekunden) oder Trillionsteln (Attosekunden) einer Sekunde ab. Kernreaktionen sind sogar noch schneller. Maxim Tsarev, Johannes Thurner und Peter Baum, Wissenschaftler der Universität Konstanz, erreichen nun mit einem neuen Versuchsaufbau Signale von Attosekunden-Dauer, also den Milliardsteln einer Nanosekunde, was der Ultrakurzzeitphysik neue Perspektiven eröffnet.

Nicht einmal Lichtwellen erreichen eine solche Zeitauflösung, da eine einzige Schwingung dafür viel zu lange dauert. Elektronen schaffen hier Abhilfe, da sie auch eine deutlich höhere Zeitauflösung ermöglichen. Der Versuchsaufbau der Konstanzer Forscher nutzt Paare von Femtosekunden-Lichtblitzen eines modernen Lasers, um Elektronenpulse zu erzeugen und diese wenig später zeitlich zu komprimieren. Die Forscher präsentieren ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature Physics.

Wie gingen die Wissenschaftler vor?
Ähnlich wie Wasserwellen können sich auch die Wellen von Licht überlagern, um stehende oder wandernde Wellenberge und -täler zu erzeugen. Die Physiker wählten die Einfallswinkel und Frequenzen so geschickt, dass die Pulse, die nur aus einem einzigen Elektron bestehen und mit halber Lichtgeschwindigkeit durch das Vakuum fliegen, sich mit genau gleich schnellen optischen Wellenbergen und -tälern überlagern. Die so genannte ponderomotorische Kraft drückt die Elektronen, die mit einer Rate von einhunderttausend Stück pro Sekunde geschossen werden, dann in Richtung des nächsten Wellentals. Dadurch einsteht nach kurzer Wechselwirkung mit anderen Ladungsträgern eine Serie von Elektronenpulsen, die zeitlich extrem kurz sind – besonders in der Mitte des Pulszuges, wo die elektrischen Felder sehr stark sind.

Um die zeitliche Dauer der Elektronenpulse, die für eine kurze Zeit nur ungefähr fünf Attosekunden beträgt, durch aufwendige Rechnung nachweisen zu können, wird die Geschwindigkeitsverteilung der Elektronen gemessen, die nach der Kompression erhalten bleibt. „Statt einer sehr einheitlichen Geschwindigkeit der Ausgangspulse sieht man im Spektrometer eine sehr breite Verteilung, die durch die starke Abbremsung oder Beschleunigung mancher Elektronen im Laufe der Kompression entsteht“, erklärt Physiker Johannes Thurner. „Aber nicht nur das: Die Verteilung ist nicht glatt, sondern besteht aus Tausenden von Geschwindigkeitsstufen, da jeweils nur eine ganze Anzahl von Lichtteilchenpaaren mit den Elektronen interagieren kann.“ 

Bedeutung für die Forschung
Quantenmechanisch betrachtet, so der Wissenschaftler, ist dies eine zeitliche Überlagerung (Interferenz) der Elektronen mit sich selbst, nachdem sie dieselbe Beschleunigung zu verschiedenen Zeiten erfahren haben. Dieser Effekt ist für quantenmechanische Experimente - etwa über die Wechselwirkung von Elektronen und Licht - von großer Bedeutung. Bemerkenswert ist außerdem: Ebene elektromagnetische Wellen wie ein Lichtstrahl können im Vakuum normalerweise keine bleibende Geschwindigkeitsänderungen von Elektronen verursachen, da die Gesamtenergie und der Gesamtimpuls des massiven Elektrons und eines ruhemasselosen Lichtteilchens (Photon) nicht gleichzeitig im danach beschleunigten Elektron erhalten sein können. Die Aufnahme von zwei Photonen gleichzeitig in einer Welle, die sich langsamer als mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, löst dieses Problem (Kapitza-Dirac-Effekt).

Peter Baum, Professor und Leiter der Arbeitsgruppe für Licht und Materie am Fachbereich Physik der Universität Konstanz, ordnet diese Ergebnisse noch klar der Grundlagenforschung zu, betont aber das große Potenzial für künftige Forschungen: „Wird ein Material von zwei unserer kurzen Impulse in einem variierbaren Zeitabstand getroffen, kann der erste Puls eine Veränderung auslösen und der zweite Puls zur Beobachtung genutzt werden – ähnlich dem Blitz einer Kamera.“ Den großen Vorteil sieht er darin, dass im Versuchsprinzip kein Material beteiligt ist und sich alles im freien Raum abspielt, weshalb in Zukunft prinzipiell beliebig starke Laser für immer stärkere Kompression eingesetzt werden könnten. „Mit unserer neuen Zwei-Photonen-Kompression können wir nun in neue Zeitdimensionen vorstoßen und vielleicht sogar Kernreaktionen in ihrem Ablauf filmen“, so Baum.

Zum Artikelhttps://www.nature.com/articles/s41567-023-02092-6

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: M. Tsarev, J. Thurner und P. Baum (2023) Non-linear-optical quantum control of free-electron matter waves. Nature Physics; https://www.nature.com/articles/s41567-023-02092-6
  • Konstanzer Forscher erreichen in ihrem Versuchsaufbau Elektronen-Signale mit einer Dauer von wenigen Attosekunden.
  • Das Spektrometer zeigt an, dass dabei die Geschwindigkeit der Elektronen nicht einheitlich ist, sondern sich auf Tausende von Stufen verteilt.
  • Der Versuchsaufbau eröffnet neue Perspektiven im Bereich der Quantenmechanik, etwa um die Interaktion von Elektronen und Licht im Vakuum zu erforschen.