Leerer Hörsaal, vom Pult aus fotografiert. Im Fokus ist der Spiegel vom Projektor, im Hintergrund die leeren Sitzplätze.
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Wie verbreitet ist Antisemitismus unter Studierenden?

Bundesweite Studie der AG Hochschulforschung aus Konstanz zeigt: Antisemitismus ist unter Studierenden weniger verbreitet als in der Bevölkerung.

Nach den Angriffen der Hamas auf Israel und der militärischen Reaktion Israels stieg die Anzahl der antisemitischen Vorfälle in Deutschland deutlich an. Laut Medienberichten betrifft das auch den Hochschulkontext und es wird von einer zunehmend antisemitischen Stimmung unter Studierenden berichtet. Aber wieviel Antisemitismus findet an deutschen Hochschulen tatsächlich statt?

Die Arbeitsgruppe Hochschulforschung unter Leitung von Thomas Hinz, Professor für empirische Sozialforschung und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz, hat im Dezember 2023 eine Onlineumfrage zu antisemitischen Vorurteilen unter 2.000 Studierenden und weiteren rund 2.000 Personen aus der allgemeinen Bevölkerung durchgeführt, um belastbare Zahlen und Fakten in die Diskussion einzubringen: „Die Untersuchung hat ergeben, dass antisemitische Vorurteile unter Studierenden weniger als in der Gesamtbevölkerung verbreitet sind. Dort teilen 18 Prozent der Befragten allgemeine antisemitische Einstellungen, bei Studierenden beträgt der Anteil 8 Prozent “, so Studienleiter Hinz.

In der Studie unterscheiden die Forschenden zwischen zwei Formen des Antisemitismus: allgemeiner Antisemitismus mit Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden und israelbezogener Antisemitismus, der Israel als „Staat der Juden“ delegitimiert und nach doppelten Standards bewertet. Betrachtet man den israelbezogenen Antisemitismus, fällt der Anteil bei Studierenden ähnlich aus wie in der Bevölkerungsstichprobe. Hinz erläutert dazu, dass „Israel-Kritik“ nicht gleichzusetzen sei mit Antisemitismus: „Kritik am militärischen Vorgehen Israels sowie Sorgen um die palästinensische Zivilbevölkerung werden auch häufig geäußert, wenn kein israelbezogener Antisemitismus vorliegt.“

Katharina Holzinger, Rektorin der Universität Konstanz, betont die Bedeutung der Studie: „Ich bin sehr dankbar für diese wichtige und fundierte Analyse aus Konstanz, die einen belastbaren Beitrag für die aktuelle teils sehr emotional geführte Debatte liefert. Die AG Hochschulforschung hat diese Studie in der notwendigen Geschwindigkeit implementiert und mit ausgewiesener Kompetenz umgesetzt. Wichtig ist nun, auf allen Ebenen über die Ergebnisse zu sprechen und Folgerungen für gegebenenfalls nötige Maßnahmen zu ziehen“.

Überwiegende Mehrheit bewertet Angriff der Hamas als Terrorakt
Die Daten der Arbeitsgruppe belegen nachdrücklich die Sorge vieler Studierender angesichts des eskalierenden Konflikts: „Die überwiegende Mehrheit der Studierenden bewertet den Angriff der Hamas auf Israel als grausamen Terrorakt“, erklärt Thomas Hinz. „Allerdings hält eine Gruppe von etwa 12 Prozent der Befragten den Angriff der Hamas für einen legitimen Befreiungskampf Palästinas.“ Die militärische Reaktion Israels wird jedoch ebenfalls mehrheitlich kritisch eingeschätzt, unter den befragten Studierenden ist diese Haltung noch einmal deutlicher als in der Bevölkerung.

Subjektiv wahrgenommene Diskriminierung
Hochschulen sind keine diskriminierungsfreien Räume. Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit ist verglichen zu anderen möglichen Merkmalen (etwa Geschlecht) an Hochschulen eher selten, wie die Studie aufzeigt. Jüdische und muslimische Studierende seien jedoch aus ihrer Sicht überdurchschnittlich häufig Diskriminierungen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt, so die Forschenden. Wird an Hochschulen Diskriminierung und Rassismus thematisiert, müsse man sich dessen bewusst sein und die Erfahrungen ernst nehmen, betonen die AutorInnen.

Methodik
Berücksichtigt wurden in der Onlinebefragung der AG Hochschulforschung alle Bundesländer, Hochschularten und Fachrichtungen, um belastbare Ergebnisse zu erhalten. Zeitgleich wurde die Befragung auch in einer Bevölkerungsstichprobe mit gleicher Personenanzahl durchgeführt, um die Ergebnisse besser einordnen zu können. Zum Einsatz kam unter anderem ein Umfrageexperiment, bei dem die politische Mobilisierung der Befragten zu unterschiedlichen Zielen im Mittelpunkt stand.

Welche Empfehlungen leiten die AutorInnen der Studie aus diesen Erkenntnissen ab? Thomas Hinz erklärt: „Die Ergebnisse unserer Befragung können für Politik und Hochschulen Anlass sein, geeignete Maßnahmen gegen die Ausweitung von Antisemitismus zu entwickeln und umzusetzen, wie etwa eine Meldestelle für antisemitisch motivierte Vorfälle und klare Sanktionen bei antisemitisch motivierten Straftaten.“ Aber auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um die historischen Ursprünge des Konflikts und die aktuelle Gegenwart in Israel und Palästina seien im Hochschulkontext wichtig, so Hinz.

Faktenübersicht

  • Originalpublikation: Thomas Hinz et al. (2024). Studentisches Meinungsklima zur Gewalteskalation in Israel und Gaza und Antisemitismus an deutschen Hochschulen. Working Paper Series Nr. 16, Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“, Universität Konstanz.
  • Transparenzhinweis: Die Studie wurde vom Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Auftrag gegeben.
  • AutorInnen:
    • Thomas Hinz ist Professor für empirische Sozialforschung und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz.
    • Anna Marczuk ist promovierte Soziologin und Projektkoordinatorin der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz.
    • Frank Multrus ist promovierter Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der AG Hochschulforschung.
  • Der Exzellenzcluster „The Politics of Inequality” an der Universität Konstanz erforscht aus interdisziplinärer Perspektive die politischen Ursachen und Folgen von Ungleichheit. Die Forschung widmet sich einigen der drängendsten Themen unserer Zeit: Zugang zu und Verteilung von (ökonomischen) Ressourcen, der weltweite Aufstieg von Populist*innen, Klimawandel und ungerecht verteilte Bildungschancen.